Es gibt etwas Gutes am Unglück Bush
Nobelpreisträger Joseph Stiglitz über sein Verhältnis zu Milton Friedman, die religiösen Züge in der Ökonomie und seinen Gesinnungswandel in Bezug auf die Globalisierung.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie letzten Monat erfuhren, dass Milton Friedman gestorben ist?
JOSEPH STIGLITZ: Ich kannte ihn mehr als vierzig Jahre lang. Erstmals traf ich ihn 1965 in Chicago. Ich war damals Student am MIT, und er hatte großen Einfluss auf mich. Das MIT lag sehr nahe an der Kennedy-Schule, war also sehr demokratisch orientiert. Friedman war der Kopf der anderen Kirche.
Was meinen Sie denn mit der anderen Kirche? Das hört sich ja fast wie eine Religion an.
JOSEPH STIGLITZ: In Friedmans Welt waren die Märkte perfekt. In unserer spielte die Regierung eine wichtige Rolle, um die Wirtschaft zu stabilisieren.
«Der Druck auf die Politiker wird mit der Verschärfung der Probleme steigen.»
Wie haben Milton Friedmans Theorien Ihre Arbeit beeinflusst?
JOSEPH STIGLITZ: Indem ich versuchte zu verstehen, was denn genau falsch war an seiner Theorie. Dadurch kam meine Theorie der unvollständigen Information zu Stande. Aber heute wird die Debatte in der Ökonomie auf einem ganz anderen Gebiet geführt. Heute dreht sich die Debatte nicht mehr um die Grenzen der Märkte, sondern um die Stärke und den Einfluss der Regierungen auf die Märkte.
Diese Debatte wird sehr ideologisch geführt.
JOSEPH STIGLITZ: Ja, hier spielt die Ideologie sehr stark hinein. Hier kommt die Religion zum Zug. Die Realität ist aber, dass die Regierung in jedem erfolgreichen Land eine wichtige Rolle spielt.
Thema Wahlen in den USA: Gibt es einen Wandel in der Beurteilung der Märkte und der Rolle der Regierungen?
JOSEPH STIGLITZ: Grundsätzlich wurden diese Wahlen von drei Themen getrieben. Der Irak ist das eine Thema, Inkompetenz und Korruption der Regierung Bush ein weiteres. Und das dritte ist - und hier kommen wir zu einem Globalisierungsthema -, dass die Menschen in den USA gemerkt haben, dass der amerikanische Alleingang nicht funktioniert hat.
Amerika wacht auf?
JOSEPH STIGLITZ: Ja, ich denke schon. Das Gute am Unglück George W. Bush ist, dass Amerika nun erkannt hat, dass es die Probleme nicht allein lösen kann. Es ist nicht angenehm, von allen gehasst zu werden. Jeder, der reist, merkt das.
Sehen die Leute von der Straße das auch so?
JOSEPH STIGLITZ: Eine Menge Menschen tun das. Natürlich haben auch andere Themen die Wahlen beeinflusst. Aber diejenigen, die über internationale Belange nachdenken, haben sich dem Multilateralismus zugewandt. Selbst die Konservativen. Niemand sagt heute in den USA mehr, er sei ein Neokonservativer. Aber bei den Menschen im Land herrscht eine allgemeine Unzufriedenheit über das Missmanagement der Regierung und die schwache Wirtschaft.
Wie stark schätzen Sie denn die Wirtschaft in den USA ein?
JOSEPH STIGLITZ: In zweierlei Hinsicht halte ich die US-Wirtschaft für schwach. Erstens ist das steigende Bruttoinlandprodukt kein guter Maßstab, denn die meisten Amerikaner sind ärmer geworden. Das Einkommen der Mittelstandsfamilien schrumpft, ein sehr großer Teil der Bevölkerung ist heute arm. Wenn Sie übers Land fahren, merken Sie, dass die Gesellschaft nicht gesund ist.
Und was noch?
JOSEPH STIGLITZ: Das Wachstum, das wir hatten, ist auf Schulden gebaut. Wenn wir aber Schulden machen, um den Reichsten des Landes Steuerermäßigungen zu gewähren und einen Krieg im Irak zu finanzieren, führt das nirgendwohin. Das ist nicht nachhaltig.
Und jetzt kommt die Wende?
JOSEPH STIGLITZ: Jetzt beginnt das Ganze auseinander zu brechen. Erste Anzeichen sind, dass die Hauspreise fallen und der Häuserbestand steigt.
Es gibt eine These, dass die nächsten Wahlen mit dem Thema China entschieden werden. Das wäre eine Verschiebung von der politischen zur ökonomischen Warte.
JOSEPH STIGLITZ: Ja, das ist möglich. Ich hoffe aber, dass das nicht passiert. Aber wenn immer Arbeitslosigkeit
- es gibt eine hohe Rate von versteckter Arbeitslosigkeit
- und Unsicherheit anhalten, dann werden die Amerikaner jemanden dafür verantwortlich machen. Meine Befürchtung ist, dass eine der Parteien oder beide die Angst
benützen werden. Aber von einem analytischen Standpunkt aus ist Chinas Handelsüberschuss gegenüber den USA nicht der Grund der amerikanischen Probleme. Wenn China nicht wäre, wären Amerikas Probleme noch größer. Die Amerikaner würden auch billige Kleider aus Bangladesch oder Kambodscha kaufen. Sie würden deshalb
nicht wieder im eigenen Land hergestellt werden. Das US-Handelsdefizit würde das gleiche bleiben. Aber China hat unser Defizit finanziert - Bangladesch oder Kambodscha
würden das nicht tun. Wir hätten also das Problem, wie wir unser Defizit finanzieren sollen.
Aber das interessiert den Arbeiter nicht, wie das Defizit finanziert wird.
JOSEPH STIGLITZ: Das ist es ja, was ich sage. Von einem analytischen Standpunkt aus wird man China nicht verantwortlich machen können. Von einem opportunistischen, populistischen Standpunkt aus tut man es.
Was sagen Sie einem Arbeiter, der seinen Job verloren hat?
JOSEPH STIGLITZ: Ich sage ihm: Eine gut funktionierende Wirtschaft kann mehr Jobs schaffen als verloren gehen. In der klassischen Handelstheorie würde eine Umverteilung, eine Kompensation, stattfinden, von den verschwundenen zu den neu geschaffenen Stellen. Aber Sie haben Recht. Einzelnen Personen wird es schlechter gehen, denn die Realität ist: Wenn Menschen ihre Arbeit verlieren, dann finden sie keine neue. Und dann fragen sich diese zu Recht, warum sie unterstützen sollen, was sie schlechter stellt. Die Anwälte der Globalisierung vergessen oft, dass es Verlierer gibt.
Sie engagieren sich stark in der Entwicklungshilfe. In Europa wird eine Diskussion darüber geführt, wie effizient diese überhaupt ist, speziell in Afrika. Was sagen Sie dazu?
JOSEPH STIGLITZ: Die Faktenlage ist gemischt. Die Hilfe wird beispielsweise oft für politische Zwecke missbraucht, statt sie für die Entwicklung einzusetzen. Deshalb hat die Entwicklungshilfe auch keinen Erfolg. Aber es gab auch viele Projekte der Weltbank, die effizient waren und den Lebensstandard hoben. In Asien funktionierte das gut.
Aber Afrika erscheint immer noch wie ein vergessener Kontinent.
JOSEPH STIGLITZ: Die Transformation von Afrika war erfolglos, das steht fest. Das gilt aber nicht für alle Länder. Einige wachsen um fünf bis sechs Prozent jährlich. Es gibt Teilerfolge beispielsweise in Ghana, Äthiopien oder Uganda.
Wie wollen Sie die Situation in anderen Ländern Afrikas verbessern?
JOSEPH STIGLITZ: Ich will Ihnen drei Beispiele geben, wie Hilfe besser eingesetzt werden könnte. Erstens durch die Förderung der landwirtschaftlichen Produktivität, die immer noch ein Drittel derjenigen asiatischer Länder ist. Die grüne Revolution hat in Afrika noch nicht stattgefunden. Zweitens durch die medizinische Forschung und Unterstützung, denn die in Afrika grassierenden Krankheiten schwächen die Produktivität. Und drittens: Viele, die ihre Wirtschaft in Schwung brachten, scheiterten daran, ausländische Investitionen anzuziehen.
Manche meinen, die schleppende Entwicklung Afrikas sei ein kulturelles Problem.
JOSEPH STIGLITZ: Die meisten Probleme entstanden in Afrika wegen der Umstände, nicht wegen der Kultur. Es geht doch darum, die Risiken für Investoren zu minimieren. Wenn Sie als Investor heute die Wahl zwischen China und einem afrikanischen Land haben, ist die Antwort ja klar, wohin Sie Ihr Geld bringen.
Wie wollen Sie denn die Risiken reduzieren?
JOSEPH STIGLITZ: Die Korruption muss eingedämmt und die Anreize zu mehr Transparenz erhöht werden. Da gibt es einiges, was wir hier im Westen tun können. Die Schulden müssen reduziert und für Investoren Versicherungslösungen bereitgestellt werden. Die Länder, in denen das funktioniert, werden Nachahmer finden.
Sie befürworten in Ihrem Buch auch die Beseitigung von bilateralen Handelsabkommen. Ist das der richtige Weg, Afrika guasi dem rauen Markt auszusetzen?
JOSEPH STIGLITZ: Da denke ich vor allem an die bilateralen Abkommen der USA mit Entwicklungsländern. Das waren keine eigentlichen Übereinkünfte, sondern ein «Take it or leave it» von Seiten der Vereinigten Staaten. Heute haben wir zwei Gruppen von Ländern. Diejenigen, die freien Zugang zu den Märkten haben, und diejenigen, die das nicht haben. Neutrale, gerechte Abkommen würden die Entwicklung aber fördern.
«Die Politiker werden es in Zukunft besser machen, weil der Druck auf sie mit der Verschärfung der Probleme steigen wird.»
Sie gelten als Gegner der Globalisierung ...
JOSEPH STIGLITZ: Ich habe die Globalisierung stark kritisiert, das stimmt. Aber ich bin ein Optimist, weil ich das Problem nicht in der Globalisierung selbst sehe. Sondern in der Art, wie bisher mit ihr umgegangen wurde. Deshalb habe ich mein Buch geschrieben.
Sie legen den Fokus auf die Politik. Sie soll die Globalisierung managen. Was macht Sie denn so sicher, dass die Politiker Ihren Ratschlägen auch folgen?
JOSEPH STIGLITZ: Die Frage ist doch eher: Warum werden die Politiker das in Zukunft besser machen als in der Vergangenheit? Die Antwort ist: weil der Druck auf sie mit der Verschärfung der Probleme steigen wird. Regeln gibt es ja bereits genug, die die Struktur der Globalisierung bestimmen sollen. Die ganze Welt ist voller Regeln.
Das sehen Sie allerdings sehr, sehr idealistisch.
JOSEPH STIGLITZ: Ich würde das als optimistisch bezeichnen. In den letzten fünf Jahren haben diesbezüglich viele Veränderungen stattgefunden.
Welche Veränderungen? Können Sie uns Beispiele nennen?
JOSEPH STIGLITZ: Wer hätte schon gedacht, dass das Thema globale Erwärmung in Großbritannien einen so hohen Stellenwert in der Politik bekommen würde? Eine bessere Welt ist keine Utopie. Sie ist machbar. Aber es bleibt ein Glaube, dass die demokratischen Prozesse die Globalisierung in den Griff bekommen. Demokratien haben schließlich nicht immer funktioniert in der Vergangenheit.