Overblog
Editer l'article Suivre ce blog Administration + Créer mon blog

PrÉSentation

  • : Politique Economique & Commerce International
  • : Analyses sur la Politque Economique "Inter"-"Nationale"...
  • Contact

adresse e-mail (courriel)

panchovillan@yahoo.com

Recherche

Archives

17 avril 2006 1 17 /04 /avril /2006 11:09


GLOBALISIERUNG



"Risse im System"



Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff über ungezügelten Kapitalismus, die Gier der Konzernchefs und die Frage, wie den neues Wirtschaftswunder gelingen kann


Rogoff, 53, war Chef-Ökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF) und lehrt nach Stationen in Princeton und Berkeley Wirtschaftswissenschaften an der Universität in Harvard. Der frühere Schachprofi und Internationale Großmeister ist ein Verfechter der liberalen IWF-Politik und bezeichnet sich als „Schwarzenegger-Republikaner". In seinen jüngsten Schriften kritisiert er die negativen Folgen der Globalisierung und warnt vor politischen Unruhen, falls Politiker und Manager nicht für eine gerechtere Verteilung des Wohlstands sorgen.


SPIEGEL: Professor Rogoff, die US-Wirtschaft brummt, Präsident Bush jubelt über das hohe Wachstum. Aber die Mehrheit aller Amerikaner glaubt, sie lebe in einer Rezession. Wer hat hier ein Wahrnehmungsproblem?

Rogoff: Ich habe mich auch gefragt, ob die Leute verrückt geworden sind. Aber Tatsache ist: Der Anteil der Löhne am Gesamtwachstum schrumpft.

SPIEGEL: Das heißt: Die meisten Menschen bekommen vom Aufschwung nichts mit und sind zu Recht enttäuscht?

Rogoff: Die arbeitende Bevölkerung hatte in einem Zeitraum von 100 Jahren einen gleichbleibenden Anteil am volkswirtschaftlichen Einkommen. Deshalb waren auch Marx' Thesen völlig falsch, dass im Kapitalismus nur die Kapitalisten profitieren und die Arbeiter ausgebeutet werden. Nichts war mehr von der Wahrheit entfernt. Arbeiter haben in gleicher Weise hinzuverdient, wie die Volkswirtschaften gewachsen sind.

SPIEGEL: Gilt das nicht mehr?

Rogoff: Seit 20 Jahren gibt es in allen reichen Ländern einen auffallenden Niedergang des Faktors Arbeit. Die Reichen werden reicher, aber am unteren Ende kommen die Menschen nicht so schnell voran wie die Kapitalisten.

SPIEGEL: Marx hatte also doch recht?

Rogoff: Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Arbeiter werden nicht ausgebeutet. Aber wenn ihr Anteil am Wachstum nicht größer wird, ist das eine potentielle Ursache sozialer Spannungen weltweit. Der Punkt ist nur: In den USA sind bisher Versuche gescheitert, diesen Trend umzudrehen. Die Boeing-Beschäftigten haben durch ihren Streik kaum etwas erreicht. Die Position der Arbeiter ist geschwächt -in der Luftfahrt und in anderen Industrien.

SPIEGEL: Gleichzeitig kassieren Konzernchefs und Wall-Street-Banker Bonuszahlungen in Rekordhöhe.

Rogoff: Es gab noch nie eine bessere Zeit, um reich zu werden. Es ist schon überaus erstaunlich, wie viel Geld etwa die Leute im Hedgefonds-Business machen oder im Private-Equity-Bereich und wie wunderbar es den wohlhabenden Familien geht. Angesichts solcher Widersprüche ist es kein Wunder, wenn Durchschnittsamerikaner anders über die Wirtschaft denken als George W. Bush und seine Freunde. Die können so lange mit Statistiken spielen, wie sie wollen: Über die ungerechte Verteilung des Wohlstands gibt es keinen Zweifel.

SPIEGEL: Solange es den Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Traum gibt, hat das bislang kaum jemanden gestört.

Rogoff: Ich sage meinen Kindern, dass ein Mann wie Bill Gates über ein Vermögen von 50 Milliarden Dollar verfügt. Das können sie überhaupt nicht begreifen. Dann erkläre ich ihnen, dass viele Länder auch nicht mehr Geld haben als er. Wenn wir solche Extreme haben, kann ich nicht einsehen, warum wir jetzt auch noch die Erbschaftsteuer abschaffen. Sie hat der Wirtschaft nicht geschadet und über die Generationen hinweg die Einkommensverteilung ausgeglichen.

SPIEGEL: Solche milliardenschweren Steuergeschenke für Superreiche sollen Wachstum für alle erzeugen. Steigendes Wasser hebt alle Boote, lautet ein entsprechender Slogan der Konservativen.

Rogoff: Bei der Katastrophe von New Orleans hat man konkret gesehen, wie es Leuten in bitterer Armut ergeht: Sie haben gar kein Boot. Noch mehr Steuererleichterungen sind der falsche Weg, solange es nicht einmal für Kinder eine Krankenversicherung gibt. Ich finde das ungeheuerlich.

SPIEGEL: Sind diese Ungerechtigkeiten der Preis für niedrige Arbeitslosigkeit und starkes Wachstum in den USA?

Rogoff: Dieser ungezügelte Kapitalismus bei uns wird sozial nicht durchzuhalten sein, das führt zu Spannungen. Wenn wir noch einmal fünf weitere Jahre wie die letzten fünf erleben, werden sich soziale Reibungen verstärken. Die Menschen schauen ja nicht nur auf ihr eigenes Wohlergehen, sondern auch auf ihre Nachbarn, auf ihren Platz in der Gesellschaft. Diese gewaltigen Ungleichheiten sind kein besonders wünschenswerter Wesenszug in unserer Gesellschaft.

SPIEGEL: Sind westliche Konzernchefs Getriebene der Globalisierung, oder nutzen sie die Lage zu ihrem Vorteil aus?

Rogoff: Wir reagieren auf die Kräfte des Marktes, wir versuchen, Jobs zu schützen - das ist das Selbstbild vieler Manager. Sie können überhaupt nicht verstehen, warum die Menschen wütend auf sie sind. Nehmen Sie Firmenübernahmen, bei denen der scheidende Vorstandschef eine Abfindung von 50 Millionen Dollar einstreicht und 5000 Arbeiter entlassen werden. So etwas passiert regelmäßig. Auf der einen Seite zeigt es: Wir haben ein flexibles Wirtschaftssystem, wir erlauben den Wandel. Andererseits ist es natürlich völlig naiv zu glauben, dass dadurch keine Spannungen entstehen.

SPIEGEL: Aber schaden sich Unternehmen und Länder, die sich gegen die Globalisierung stellen, nicht am Ende selbst?

Rogoff: Einfache Antworten gibt es nicht. Natürlich wäre es Selbstmord, beispielsweise unsere Industrien zu verstaatlichen. Wer aber sagt, die Wirtschaft wächst, alles ist wunderbar, der will diese Risse im System einfach nicht zur Kenntnis nehmen. In China ist diese Kluft ja übrigens noch viel gewaltiger. An der Küste herrscht das 21. Jahrhundert, und auf dem Land, wo zwei Drittel der Chinesen wohnen, können Sie noch das 18. Jahrhundert erleben. Das sind unfassbare Ungleichheiten. Die haben einen extrem rohen Kapitalismus.

SPIEGEL: Dem englischen Ökonomen Ricardo zufolge ist Freihandel für alle gut. Die reichen Industriestaaten müssten nach seiner Theorie nur auf der technologischen Leiter nach oben klettern, um ihre Verluste in ausgelagerten Industrien abzugleichen.

Rogoff: Ricardo hatte noch nie recht. Sicher, es gibt mehr Gewinner als Verlierer, und die Gewinner profitieren mehr als die Verlierer einbüßen. Aber dass vom Freihandel alle zur gleichen Zeit profitieren, stimmt einfach nicht

SPIEGEL: Protektionismus...

Rogoff:... ist kein Ausweg, wir können die Uhr nicht zurückdrehen. Aber ein ungezügelter Kapitalismus wird zu sehr realen Problemen führen. Wir werden sehen, dass eine immer weiter reichende Liberalisierung langfristig die politische Unterstützung in der Bevölkerung vertieren kann.

SPIEGEL: Wenn ganze Branchen nach Fernost verlagert werden, wo können dann im Westen überhaupt neue Arbeitsplätze entstehen?

Rogoff: Unsere Hightech-Industrien profitieren ja gewaltig, aber für 50-jährige Stahlarbeiter oder für Leute aus der Luftfahrtindustrie ist es schwierig bis unmöglich, sich zum Besseren zu verändern. Das Problem - jedenfalls in den USA - ist nicht, dass die Leute keinen Job mehr finden. Das Problem ist, dass sie keinen Job mehr bekommen, der ihnen Würde verleiht und einen vernünftigen sozialen Status. Diesen enormen Sog nach unten für ungelernte Arbeiter gibt es ja schon länger. Ab jetzt werden auch die mittleren und höheren Ränge vom Outsourcing betroffen - Menschen, die sich in ihrer Position sehr sicher fühlten.

SPIEGEL: Im Klartext: Nicht einmal erstklassige Bildung schützt vor der Konkurrenz der Chinesen?

Rogoff: Wissen Sie, ich war in jüngeren Jahren Schachprofi. Früher konnten Sie sich als bester Spieler von New York sehr gut Ihren Lebensunterhalt verdienen. Inzwischen sind die Inder und Chinesen brillante Schachprofis geworden. Die steigen ins Flugzeug und spielen überall mit Das hat zu einem dramatischen Druck auf die Einkommen geführt. Wenn Sie der beste Schachspieler Argentiniens sind, können Sie davon heute nicht mehr leben.

SPIEGEL: Welchen Platz hat Deutschland in der globalisierten Welt?

Rogoff: Selbst wenn Ihre Wirtschaft in diesem Jahr ein bisschen wächst - der Trend zeigt abwärts. Sie brauchen Reformen auf dem Arbeitsmarkt, im Steuersystem, im Corporate-Governance-Bereich und im Bildungssektor. Ihr Schulsystem ist im Vergleich zu den USA sehr gut, aber Ihre Universitäten sind nicht wettbewerbsfähig.

SPIEGEL: Sie haben eine der weltweit größten Volkswirtschaften schon abgeschrieben?

Rogoff: Verstehen Sie mich nicht falsch. Wenn Berlin endlich entschieden reformieren würde, könnte es die USA im Wachstum für 20 Jahre übertreffen. Deutschland, mit seiner Kultur, seiner Bildung, seinen hochqualifizierten Einwohnern, ist so unglaublich reich. Es müsste seine Muskeln nur ein wenig anspannen, dann könnte es in den nächsten Jahren Wachstumsraten von vier, fünf Prozent (Hmmm?)  erreichen und ein Wirtschaftswunder wie in den fünfziger und sechziger Jahren schaffen. Solange es diese politische Lähmung bei Ihnen gibt, wird es dazu aber nicht kommen.


Partager cet article
Repost0

commentaires

Pages